Roman Pawlowski
Trich
Ich tue es. Gedankenverloren, ganz unbefangen und doch gezwungen. Bewusst der Konsequenzen, dass die Haare immer weniger werden, gar nicht so schnell nachwachsen können, wie ich sie rausziehe, ist es dennoch auch eine Befriedigung. Die Struktur des herausgerissenen Haares, wenn es nicht gerade mehrere sind, mit den Fingern und manchmal auch Lippen zu spüren. Durchreißen, sodass es sich kräuselt, bevor ich das Haar beiseite lege.
Gerade die Dicken, etwas kräuseligen sind es, die nicht am Kopf bleiben dürfen. So dünne ich das Haar weiter aus und überall bleiben unschöne, wenn auch für das unwissende Auge nicht wirklich sichtbare Stellen zurück: mit kürzeren oder eben ganz ohne Haare. Auch diese Unebenheiten üben eine magische Anziehungskraft auf die Hände aus, die spüren wollen, wie es sich da oben anfühlt. Immer wieder zum Kopf wandern, zunächst meist unbewusst und wie nebenbei. Doch es passiert ständig, bei Langeweile, Stress, beim Lesen, Schreiben oder Trampen; meistens wenn ich alleine bin, doch das ist längst kein Muss mehr.
Ich wünsche mir, diesen Zwang eines Tages umwandeln zu können. Es kann helfen, die Haare zum Zopf zu binden, Kopftuch, Hut oder Mütze zu tragen – wenn meine Hände nicht ankommen, ist der Drang abgemildert. Vorhanden jedoch nach wie vor. Zwischendurch häkele ich an den paar Dreads herum, die ich vereinzelt habe. Ob ich nicht am ganzen Kopf welche haben möchte, werde ich manchmal gefragt. Würde ich gerne, denke ich. Habe es bereits einmal ausprobiert, aber es ist einfach keine schöne, volle Menge an Dreadlocks, die dabei herauskommt. Weil die Hälfte an Haaren fehlt oder viel zu kurz ist, um schöne Zöpfe zu bilden. Um dem wenigstens etwas entgegenzuwirken, habe ich angefangen, herausgerissene Haare aufzubewahren. In einem kleinen Döschen, das ich immer dabei habe. Sind Dreads zu sehr ausgedünnt, repariere ich sie mit den Haaren, die ich zuvor woanders am Kopf herausgerissen habe. Paradox, aber so lange ich dem Reißzwang immer noch nachgeben muss, (m)ein Teil der Lösung. Eine Idee, damit umzugehen.
Auch während ich diesen Text geschrieben habe, habe ich mir Haare herausgezogen. Ich habe sie in meine Jackentasche gesteckt. Irgendwann werde ich sie in meine Dreads flechten. Und irgendwann werde ich auch aufhören können, in dem Ausreißen eine Befriedigung zu sehen. Zumindest hoffe ich das, seit mehr als 10 Jahren.
Kris
JavaScript is turned off.
Please enable JavaScript to view this site properly.